Mennoniten in Paraguay: Zwischen Bewunderung und Vorurteil

Deutschsprachige Menschen in Südamerika verbindet man meist mit moderner Migration. Mit Auswanderung der letzten Jahrzehnte, neuen Chancen und einem bewussten Neuanfang. Dabei existieren deutschstämmige Gemeinschaften auf dem Kontinent seit über hundert Jahren. Sie haben Regionen geprägt, Wirtschaft aufgebaut und gesellschaftliche Strukturen hinterlassen, die bis heute wirken. In Paraguay begegnet man dabei besonders häufig den Mennoniten.

 

 

Viele von ihnen kamen über Kanada oder Russland ins Land, dennoch blieb die deutsche Sprache erhalten. Diese Kontinuität wirft Fragen auf, denn ihr Einfluss steht in keinem Verhältnis zu ihrer Größe. Obwohl sie nur rund 0,5 Prozent der Bevölkerung ausmachen, spielen Mennoniten eine zentrale Rolle.

Sie prägen Landwirtschaft, Bildungswesen und wirtschaftliche Netzwerke. Gleichzeitig umgeben sie widersprüchliche Bilder aus Bewunderung und Vorbehalt. Oft reduziert man sie auf abgeschottete Bauern in abgelegenen Regionen. Dieses Bild hält sich hartnäckig, greift jedoch zu kurz.

Denn hinter den Mennoniten steht eine Geschichte aus Verfolgung, Migration und Anpassung.

 

„Mit dieser Wirklichkeit leben wir: Einerseits bewundert, andererseits auch abgelehnt.“
— Werner Franz, Theologe

 

Erst durch Gespräche mit Mennoniten und paraguayischen Stimmen wird diese Wirklichkeit greifbar. Sie zeigen, wie komplex diese Gemeinschaft ist und wie viel ihrer Geschichte im öffentlichen Bild verloren geht.

Dieser Artikel erklärt die Hintergründe der Mennoniten in Paraguay, ordnet ihren Einfluss ein und hinterfragt die Vorurteile, die sie bis heute begleiten.

 

Wer sind die Mennoniten – und warum mussten sie immer wieder weiterziehen?

 

Die Geschichte der Mennoniten beginnt nicht in Südamerika, sondern im Europa des 16. Jahrhunderts.

Als Teil der Täuferbewegung im Heiligen Römischen Reich gerieten sie früh unter Druck. Ihr Pazifismus, die Verweigerung des Militärdienstes und ein eigenständiges Glaubensverständnis machten sie verdächtig.

Auf Verfolgung folgte Bewegung.

Aus den Niederlanden und Norddeutschland zogen sie weiter nach Preußen, später nach Russland. Überall galten sie als nützliche Siedler, solange ihr wirtschaftlicher Beitrag überzeugte.

Durch landwirtschaftliches Wissen, straffe Organisation und starke Gemeinschaften wuchs ihr Wohlstand. Mit dem Erfolg kamen Privilegien. Mit den Privilegien wuchsen jedoch auch Neid, Misstrauen und politische Spannungen.

Dieses Muster wiederholte sich.

Duldung schlug in Ablehnung um. Rechte wurden eingeschränkt, Zusagen zurückgenommen, Lebensgrundlagen entzogen. Erneut blieb vielen nur der Aufbruch.

Im 20. Jahrhundert führte dieser Weg zunächst nach Kanada.

Als auch dort religiöse Autonomie und kulturelle Selbstbestimmung unter Druck gerieten, suchten konservative Gruppen einen neuen Zufluchtsort. In den 1920er Jahren erreichten sie Paraguay.

Doch ihre Ankunft in Paraguay erklärt sich nicht allein aus Verfolgung, sondern aus einem politischen Angebot, das beiden Seiten nützte.

 

Paraguay und der Chaco: eine Win-Win-Situation

 

Als die ersten Mennoniten Paraguay erreichten, galt der Chaco als Randgebiet.
Weite Teile der Region waren kaum besiedelt, infrastrukturell schwach erschlossen und politisch umkämpft. Für den paraguayischen Staat stand viel auf dem Spiel, denn der Chaco sollte dauerhaft gesichert werden – auch gegenüber Bolivien.

Die Mennoniten trafen damit auf ein Land, das Siedler suchte.

Sie selbst suchten wiederum das, was ihnen über Generationen versprochen und immer wieder entzogen worden war: religiöse Freiheit, eigene Schulen, Selbstverwaltung und die Befreiung vom Militärdienst.

Beide Seiten fanden, was sie brauchten.

Paraguay gewann zuverlässige Kolonisten für eine strategisch wichtige Region. Die Mennoniten erhielten rechtliche Garantien und Raum, um nach ihren Prinzipien zu leben.

Was folgte, prägt den Chaco bis heute.

 

 

Aus einer unwirtlichen Landschaft entstand ein wirtschaftliches Zentrum. Mennonitische Kolonien entwickelten moderne Landwirtschaft, bauten Infrastruktur auf und wurden zu Hauptproduzenten von Milch, Fleisch und Soja.

Verlässlichkeit, Qualität und Organisation verschafften ihnen Anerkennung. Doch wirtschaftlicher Erfolg verändert Wahrnehmung – und erzeugt Spannungen.

 

Vertrauen, Handschlag und Distanz

 

Das Zusammenleben zwischen Mennoniten und dem Rest der paraguayischen Bevölkerung beruht auf Respekt, bleibt jedoch oft von Abstand geprägt.

Vertrauen spielt dabei eine zentrale Rolle.

Es speist sich aus der Geschichte, denn über Generationen waren Mennoniten auf ihre eigene Gemeinschaft angewiesen. Verlässlichkeit sicherte das Überleben. Der Handschlag ersetzte den Vertrag und gilt vielerorts bis heute als verbindlich.

Gleichzeitig halten sich hartnäckige Vorstellungen über das Leben im Chaco.

Im Gespräch mit Alveroni, der selbst im Chaco aufwuchs, wird diese Ambivalenz schnell greifbar.

 

„Habt ihr da Strom? Habt ihr da Internet?“

Solche Fragen zeigen, wie wenig über den Alltag im Chaco bekannt ist.


Sie verraten weniger Neugier als Unwissen über eine Region, die lange außerhalb des öffentlichen Blicks lag.

Diese Distanz erklärt sich auch historisch.

Vor der Ankunft der Mennoniten galt der Chaco als leerer Raum. Was dort entstand, wuchs zunächst abgeschottet und entwickelte eigene Strukturen. Der Austausch mit der übrigen Gesellschaft folgte erst später.

Mit den jüngeren Generationen verändert sich dieses Verhältnis. Kontakte nehmen zu, Lebensweisen vermischen sich, gegenseitiges Lernen wird selbstverständlicher. Doch die Spuren der Vergangenheit bleiben sichtbar.

 

Sprache, Werte und Erziehung: Warum Deutsch geblieben ist

 

Ein besonders aufschlussreicher Zugang führt über die Sprache.

Obwohl viele Mennoniten über Kanada oder Russland nach Paraguay kamen, blieb Deutsch erhalten. Innerhalb der Familien dominiert oft bis heute Plattdeutsch, auch Plautdietsch genannt.

In klassischen Einwanderungsgeschichten verschwindet die Herkunftssprache meist nach wenigen Generationen.

Bei den Mennoniten geschah das nicht. Sprache blieb Träger von Identität, Glauben und Gemeinschaft.

Der Schlüssel liegt in der Erziehung.

 

 

Schulen erfüllen hier nicht nur einen Bildungsauftrag, sondern stabilisieren Werte. Bei einem Besuch der mennonitischen Schule Concordia in Asuncion zeigt sich, wie eng Unterricht, Familie und Gemeinschaft verzahnt sind. Verantwortung, Verlässlichkeit und Fleiß stehen nicht nur im Lehrplan. Sie prägen den Alltag. Mentoren begleiten junge Menschen, Vorbilder übernehmen Verantwortung, Gemeinschaft ersetzt Konkurrenz.

Diese Struktur erklärt, warum Sprache über Generationen weitergegeben wurde.
Sie erklärt aber auch, warum diese Gemeinschaft bis heute geschlossen wirkt, ohne statisch zu sein.

 

Zwischen Tradition und Moderne

 

Heute nehmen Mennoniten in Paraguay zentrale Rollen ein. Sie gestalten wirtschaftliche Entwicklungen, prägen Bildungsinstitutionen und wirken punktuell auch an politischen Entscheidungen mit.

Dabei halten sie an religiösen und kulturellen Prinzipien fest.

Gleichzeitig investieren sie in Technologie, Ausbildung und moderne Produktionsformen. Dieser Spagat zieht sich durch alle Gespräche, die ich im Rahmen meiner Dokumentation führen durfte.

Er wirft eine zentrale Frage auf: Wie lässt sich Tradition bewahren, ohne Fortschritt zu blockieren?

Gerade diese Balance macht das Thema über Paraguay hinaus relevant.
Sie berührt Grundfragen von Integration, Identität und gesellschaftlichem Zusammenhalt.

 

Eine Mennoniten-Reise, die gerade erst beginnt

Meine Recherche zeigt, wie schnell sich Urteile verfestigen. Und wie notwendig es ist, historische Erfahrungen mitzudenken, bevor man Gegenwart bewertet.

 

🎥 Der erste Teil der Reportage führt in diese Welt ein:

 

Weitere Teile führen tiefer in den Chaco, in Schulen, Betriebe und persönliche Lebensgeschichten.
Dort, wo sich Geschichte im Alltag fortschreibt.

Neugierig geworden?

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5+ Jahre Südamerika

Reisejournalistin spezialisiert auf das Leben in Südamerika

 

 

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