Dreizehnlinden: Tradition und Wandel der österreichischen Kolonie in Brasilien 🇦🇹🇧🇷
Versteckt in den grünen Hügeln des brasilianischen Bundesstaates Santa Catarina liegt Dreizehnlinden – eine kleine Gemeinde, die auf den ersten Blick wie ein Stück Österreich in Südamerika wirkt.
Gegründet 1933 von Tiroler Auswanderern, vereint der Ort bis heute alpenländische Traditionen mit brasilianischer Lebensfreude. Doch wie viel Österreich steckt noch in Dreizehnlinden (portugiesisch: Treze Tílias)? Zwischen Holzschnitzkunst, Blasmusik und Tiroler Architektur entfaltet sich eine Geschichte von Heimatverbundenheit, Anpassung und Wandel.
Hier geht’s zur Reportage über Dreizehnlinden:
Geschichte und Kultur von Dreizehnlinden
Seit seiner Gründung in 1933 durch österreichische Siedler hat sich Dreizehnlinden seine kulturellen Wurzeln bewahrt. Die ersten Siedler kamen in eine dicht bewaldete, unerschlossene Region im heutigen Bundesstaat Santa Catarina. Sie mussten das Land roden, Häuser errichten und eine funktionierende Gemeinschaft aufbauen. Diese anfänglichen Herausforderungen stärkten den Zusammenhalt und förderten einen tiefen Stolz auf die eigene Herkunft.
Eine der schwierigsten Zeiten begann mit dem Zweiten Weltkrieg. Die brasilianische Regierung untersagte den Gebrauch der deutschen Sprache, und in vielen deutschsprachigen Einwanderergemeinden griff das Militär durch. Auch in Dreizehnlinden wurden Bewohner verhaftet, weil sie öffentlich Deutsch sprachen. Erst nach mehreren Monaten wurden sie wieder freigelassen. Nach Kriegsende entspannte sich die Lage, doch der Einschnitt war spürbar.
Trotz dieser Einschränkungen konnten sich der Tiroler Dialekt und österreichische Traditionen bis heute halten. Die ersten Generationen hatten neben harter körperlicher Arbeit – insbesondere der mühsamen Urbarmachung des Landes – nur begrenzte Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. Musizieren, Schuhplatteln, Singen und Tanzen prägten das kulturelle Leben und halfen, Traditionen lebendig zu halten.
Bis heute ist der Stolz auf die gemeinsame Herkunft, Kultur und Sprache in Dreizehnlinden spürbar. Gelegentliche Besuche in der alten Heimat trugen lange zum Erhalt der deutschen Sprache bei. Dennoch zeigt sich in der jüngeren Generation ein Wandel. Während einige der älteren Bewohner anmerken, sie sprächen noch einen österreichischen Dialekt, berichten die jüngeren, dass ihnen die Sprache Schwierigkeiten bereite. Portugiesisch dominiert zunehmend den Alltag. Dennoch begeistern sich einige der jungen Dreizehnlindner auch für das Tragen von Dirndl und Lederhosen bei touristischen Ereignissen oder zu regelmäßigen Vorführungen der Tänze und Musikveranstaltungen.
Dabei bleibt die Frage, inwieweit diese Traditionen aus innerer Überzeugung oder aus wirtschaftlichen Gründen gepflegt werden.
Tourismus: Tradition als Anziehungspunkt
Trotz der Herausforderungen in der Geschichte der Tiroler Kolonie Dreizehnlinden sind viele Traditionen bis heute lebendig geblieben. Volksfeste, Paraden, Schuhplattler-Tänze und die allgegenwärtige Blasmusik prägen das kulturelle Bild des Ortes. Hotels, Restaurants und Handwerksbetriebe greifen bewusst auf österreichische Traditionen zurück – teils aus echter Verbundenheit zur Heimat ihrer Vorfahren, teils als gezielte Touristenattraktion.
Mauro Moser, bekannt für seine kunstvoll gefertigten Glockenstühle (Campanários), berichtet, dass der Großteil der Touristen aus Brasilien stamme. Viele Besucher kämen, um ein Stück Österreich zu erleben, da eine Reise nach Europa für viele unerreichbar sei. Österreichische Touristen schätzt er hingegen auf nur etwa zehn Prozent. Der Ort ist dennoch gut auf Gäste vorbereitet: Mit über 1.100 Betten übertrifft Dreizehnlinden – bei knapp 9.000 Einwohnern – viele andere Städte Brasiliens. „Da haben viele größere Orte nicht so viele Betten“, bemerkt Mauro Moser.
Die brasilianischen Besucher schätzen besonders die traditionellen Tänze, das deftige Essen und die idyllische Atmosphäre. Viele empfinden den Ort als ein kleines Paradies. Dieser Tourismus trägt nicht nur zur wirtschaftlichen Stabilität bei, sondern hilft auch, kulturelle Traditionen lebendig zu halten.
Dreizehnlinden und seine fleißigen Arbeiter
Dreizehnlindner sind landesweit für ihre Arbeitsmoral bekannt. Der Bundesstaat Santa Catarina verzeichnet nicht nur eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten Brasiliens, sondern auch die höchste Lebenserwartung. Ob dies mit der engen Verbindung zur Arbeit und der Liebe zum Handwerk zusammenhängt, bleibt offen.
Bereits 1933 brachten die ersten Auswanderer ihre Werkzeuge aus Österreich mit nach Brasilien. Noch heute nutzen viele Nachkommen der Siedler diese Werkzeuge – teils in dritter Generation. Ingrid Thaler, Urenkelin des Gründers Andreas Thaler, berichtet stolz, dass einer ihrer Holzschnitz-Schüler überrascht gewesen sei, wie viel körperliche Kraft das Handwerk erfordert: „Das ist mehr Kraft als im Fitnessstudio“, habe er bemerkt.
Seit jeher zieht die kunstvolle Handwerkskunst Touristen nach Dreizehnlinden. Die Holzschnitzerei ist tief in der Identität des Ortes verankert. In kleinen Werkstätten entstehen detailreiche Figuren, Ornamente und Möbelstücke, die mit großer Sorgfalt von Hand gefertigt werden. Von modernen Maschinen, die Figuren ohne menschliches Zutun anfertigen, halten die Dreizehnlindner Schnitzer nicht viel. „Das ist keine Kunst mehr, das ist nur noch eine Figur,” merkt Ingrid Thaler an. Diese bodenständige Handarbeit symbolisiert nicht nur den wirtschaftlichen Erfolg des Ortes, sondern auch den Wert von Beständigkeit und Qualität.
Willst du mehr über die traditionelle Lebensweise und Handwerkskunst der Dreizehnlindner erfahren? Im zweiten Teil der Reportage über Dreizehnlinden lernst du mehr:
Die Tiroler Architektur von Dreizehnlinden
Auch architektonisch spiegelt sich die Verbundenheit zur Heimat wider. Ingrids Großvater Andrä Thaler, der Sohn des Gründers Andreas Thaler, brachte Fotos und Baupläne von Tiroler Häusern nach Brasilien. Diese stellte er der Öffentlichkeit über die Gemeindeverwaltung und Bibliothek zur Verfügung. Viele Bewohner begannen daraufhin, ihre Häuser im Tiroler Stil umzugestalten. Schlussendlich stellte dies ein sichtbares Zeichen für das kulturelle Erbe dar, das bis heute das Ortsbild prägt.
Entwicklung und Wandel: Der Blick in die Zukunft
Doch auch in Dreizehnlinden bleibt der Wandel nicht aus. Die heutige Generation, oft in der dritten oder vierten Nachfolge der einstigen Siedler, erlebt einen schleichenden Kulturwandel. Während kaum noch erste Siedler von damals leben, waren es jene, die der Tiroler Mundart und den Traditionen besonders großen Wert beimaßen. Wie in der Migrationsforschung häufig zu beobachten ist, beginnt der kulturelle Wandel meist in der zweiten Generation und setzt sich in der dritten Generation deutlich fort. Das zeigt sich auch heute in Dreizehnlinden. Viele junge Menschen kennen die Geschichten und Bräuche nur noch von den Großeltern, während sie von den Eltern oft weniger aktiv weitergegeben werden. Dadurch verliert die deutsche Sprache und das traditionelle Brauchtum zunehmend an Bedeutung. Doch dieser Wandel wird von den meisten Dreizehnlindnern akzeptiert – sie fühlen sich in erster Linie als Brasilianer.
Viele junge Menschen sprechen kaum noch Deutsch, es sei denn, sie haben selbst einige Zeit in Österreich gearbeitet. Romy Thaler, Inhaberin eines lokalen Trachtengeschäfts, berichtet, dass viele junge Leute gezielt nach Österreich gehen, um dort zu arbeiten und das verdiente Geld in Brasilien zu investieren – sei es für den Kauf eines Grundstücks oder den Aufbau eines eigenen Betriebs.
Der Alltag in Dreizehnlinden
Interkulturelle Ehen sind längst selbstverständlich, und im Alltag wird fast ausschließlich Portugiesisch gesprochen. Die einstige Trennung nach Herkunftsländern spielt keine Rolle mehr: Ob italienische oder österreichische Vorfahren – alle kommunizieren heute in Portugiesisch. In traditionelleren Familien oder im engen Kreis, wo Eltern und Großeltern Wert darauf legen, wird noch Deutsch gesprochen. Allerdings berichten viele ältere Dreizehnlindner, dass es zu wenig Deutschunterricht in den Schulen gibt und die Sprachkenntnisse der jungen Generation spürbar nachlassen.
Trotzdem bleiben bestimmte Elemente des kulturellen Erbes erhalten. Der unerschütterliche Arbeitsethos und der Zusammenhalt der Gemeinschaft prägen Dreizehnlinden weiterhin. Die Menschen hier haben gelernt, Tradition und Moderne zu verbinden, ohne ihre Wurzeln zu verleugnen.
Ein Beispiel für gelebte Tradition ist Conrado Michael Moser, Holzbildhauer und Vater von zwei Töchtern. Mit leuchtenden Augen erzählt er, dass seine dreijährige Tochter bereits Interesse an der Holzschnitzerei zeigt. „Die wird sicher mitmachen“, sagt er selbstbewusst und lächelt stolz. So zeigt sich, dass Dreizehnlinden trotz aller Veränderungen seinen Charakter bewahrt: als Ort, der fleißige Arbeit und Gemeinschaftssinn mit einer behutsamen Öffnung zur Moderne vereint.
Dreizehnlinden: ein Ort, der zum Nachdenken anregt
Dreizehnlinden ist mehr als nur eine österreichische Kolonie in Brasilien – es ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie Traditionen weitergegeben, aber auch losgelassen werden können. Während Dirndl und Lederhosen heute vor allem zu touristischen Anlässen getragen werden und die deutsche Sprache langsam verblasst, bleibt der starke Gemeinschaftssinn bestehen. Die junge Generation geht ihren eigenen Weg, doch sie trägt unbewusst den Fleiß, den Stolz und die Leidenschaft ihrer Vorfahren in sich. Dreizehnlinden zeigt, dass kulturelle Identität nicht starr sein muss, sondern sich weiterentwickeln darf – ein harmonisches Miteinander von Vergangenheit und Zukunft.
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